11/10/2012

REDUCE/REUSE/RECYCLE GERMAN PAVILION

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Architekten, reißt ab! Die Doppelnatur von Schöpfung und Zerstörung.


„Reduce, Reuse, Recycle: Ressource Architektur“ ist der deutsche Beitrag zur Biennale „Common Ground“ in Venedig 2012. Die Herausgeber Muck Petzet und Florian Heilmeyer geben in der Ausstellungspublikation Einblick in das architektonische Aufgabenfeld des Umbaus. Anhand von 3 Positionen und 11 Strategien wird versucht Umbau neu zu denken.

Das Konzept und roter Faden bildet die 3R -Abfallhierarchie. Diese steht für eine Klassifizierung und Wertung von Methoden des Umgangs mit Abfall nach Energieaufwand beziehungsweise Energieverlust: je geringer die Änderung des Ausgangsprodukts und die dabei eingesetzte Energie, desto besser wird der Prozess bewertet. Was kann die Anwendung dieser Kriterien auf die Bauwirtschaft und im speziellen auf die Architektur bedeuten? Der deutsche Ausstellungsbeitrag will die Übersetzung versuchen.

Welcher Architekt würde sich „Architekturvermeidung“ auf die Fahne heften beziehungsweise was würde das 3R-Prinzip für das zeitgenössische Bauen bedeuten? Schnell fällt auf, dass hier mehr passiert als lediglich die architektonische Aufbereitung der Energiedebatte. Hinter den Bemühungen steckt die Suche nach einer neuen Definition von Architektur und einem zeitgemäßen Berufsbild des Architekten. Nachhaltigkeit, schrumpfende Städte und graue Energie sind solche Steine die dazu Anstoß geben. Die Interviews in diesem Band zeigen Planer die dazu Stellung beziehen und gewissermaßen mit beiden Beinen im 21. Jahrhundert stehen. Ihnen allen gemeinsam ist der Versuch ihre Arbeit zeitgemäßer zu denken und ihre Projekte werden als Anwendung des 3R-Prinzip auf Architektur interpretiert. Denn was sie tun kann man Umbau nennen oder eben reflektierter Umgang mit dem Gebäude- und Infrastrukturbestand. Ihr Argument: 80% des Wohnungsbudget fließen in den Umbau und nur 1% in den Neubau, warum da noch lange vom modernistischen „Tabula Rasa“ sprechen.

„Reduce, Reuse und Recycle“ machen einen grundlegenden Unterschied in der Herangehensweise an eine räumliche Problemstellung wie sie die Architektur sich stellt. Plötzlich – so erklärt Jean-Philippe Vasal im Interview – wird die Phase des Observierens und Analysierens der bestehenden Situation zentral gegenüber dem üblichen Entwerfen von neuen Atmosphären. Viel häufiger ist die Rede von Entdecken und Verwenden. Architekten bewerten den vorgefundenen Raum und adaptieren ihn nur so weit, dass er den verlangten Ansprüchen genügt. Viel Pragmatik steckt hinter dieser Position, die sich vor allem auf den Bedarf der Nutzer einstellt und nach direkten Antworten sucht, indem nur das ergänzt werden soll, was noch fehlt. Dadurch ergibt sich ein Respekt vor dem was bereits da ist, Respekt der bei Lacaton und Vasal zum Prinzip und Ausgangspunkt ihrer Arbeit avanciert.

Jasper Morrison formuliert eine weitere Position und postuliert ein evolutives Design, dass von „Dingen lernt, die sich über die Zeit hinweg entwickelt haben und gewachsen sind“. So will er Mittel, Material, Produktionsvorgang und selbst die Idee weiterverwenden um ökonomisches Design zu betreiben. „(...)Gesellschaftlicher Fortschritt, den es aber nur dann gibt, wenn Design intelligent, ehrlich, nützlich und nachhaltig ist.“

Die dritte und letzte Position durch Miroslav Sik verlangt nach einem Dialog mit dem Bestand. Nur ein Miteinander von Alt und Neu führen zum Evolutiven in der Architektur.

Hochhalten von Bestand und historischer Bausubstanz wird oft dem in der klassischen Moderne geforderten „Tabula Rasa“ gegenübergestellt. Jeder echte Fortschritt kann nur auf den Trümmern der Vergangenheit gedeihen. Wie kann nun mit diesem Pathos umgegangen werden? Institutionell verankert durch den Denkmalschutz erlangt das strikte Konzept von wegreißen und neubauen wohl eher nur Rückendeckung. Denn so wird nur versucht einige Bauten vor diesem Schicksal mit Gewalt zu bewahren, aber sicher keine Diskussion über den zeitgemäßen und richtigen Umgang mit unserer bereits gebauten Umwelt ermöglicht. Denkmalschutz erklärt die „Erhaltung“ zum Prinzip, die Betrachtungsweise der zitierten Planer sieht hingegen in der Erhaltung nur eine Möglichkeit, dass die eigentlich gesuchte Verbesserung eintritt. „Mein Problem mit dieser Haltung ist, dass es dabei eben nicht um ein Fortentwickeln des Bestands geht, sondern eher um eine finale Bilanzierung. Es ist quasi eine ahistorische Haltung, denn sie suchen ja nach einem endgültigen Zustand. Hier das Alte, dort das Neue.“ (Arch. Roger Diener)

„Gegen eine Tabula Rasa ist nichts einzuwenden. Nur: Es gibt sie nicht.“ (Arch. Arno Brandlhuber) Entlarvt den Schlachtruf der Modernisten, die dadurch eigentlich nur die Gelegenheit verpassen von bereits bestehenden Strukturen zu lernen.

Dem genialistischen Entwerfer oder freien Schöpfer wird der Architekt als Interpret und Entwickler gegenübergestellt. „Langsam, unauffällig und so, dass sie funktionieren, dass sie den Ansprüchen der heutigen Zeit genügen.“ (Miroslav Sik) Eine ikonische Architektur die den Dialog mit dem Bestand nicht schafft und nach Aufmerksamkeit sucht, ist mit dem RRR-Prinzip nicht zu vereinbaren. Wenn Nachhaltigkeit regiert, wird an erster Stelle nach einem Mehrwert durch den Gebrauch verlangt, der sich auch schon durch kleine und gezielte Eingriffe in den Bestand einstellen kann.

Jeder Eingriff wird durch eine Beobachtung und Analyse vorbereitet und folgt dem Prinzip der Addition. Additiv ist er deshalb weil es sich immer nur um ein Hinzufügen handeln kann, da immer etwas bereits da ist. Es soll sich ein Prozess einstellen, der am Bestand anknüpft und auch über den baulichen Eingriff hinaus Entwicklung ermöglicht, also nie zu Ende kommt. Manche Zustände und räumliche Konfigurationen bewähren sich, andere hingegen erweisen sich als weniger sinnvoll. Durch die Offenheit des Systems lassen sich diese jedoch durch weitere Eingriffe wiederum verändern, ohne das „Bewehrte“ zu zerstören. Es sei „viel realistischer, denselben Prozess immer wieder neu zu überdenken, ihn anzupassen und ihn für neue, verbesserte Anwendungen zu nutzen, als Quantensprünge zu machen(...)“ so Konstantin Grcic.

„Das Vorhandene, Ärmliche, Seltsame, Alltägliche als architektonische Ressource – als Material und Anstoß zur Weiterentwicklung entdecken, eröffnet neue Möglichkeiten architektonischen Handelns.“


(Kritik von Clemens Gudenus)


Reduce
Reuse
Recycle
Ressource Architektur
Deutscher Pavillion
13. Internationale Architekturausstellung
La Biennale di Venezia 2012
Hrsg. Muck Petzet, Florian Heilmeyer
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