„Architekten, reißt
ab! Die Doppelnatur von Schöpfung und Zerstörung.“
„Reduce, Reuse, Recycle: Ressource
Architektur“ ist der deutsche Beitrag zur Biennale „Common
Ground“ in Venedig 2012. Die Herausgeber Muck Petzet und Florian
Heilmeyer geben in der Ausstellungspublikation Einblick in das
architektonische Aufgabenfeld des Umbaus. Anhand von 3 Positionen und
11 Strategien wird versucht Umbau neu zu denken.
Das Konzept und roter Faden bildet die
3R -Abfallhierarchie. Diese steht für eine Klassifizierung und
Wertung von Methoden des Umgangs mit Abfall nach Energieaufwand
beziehungsweise Energieverlust: je geringer die Änderung des
Ausgangsprodukts und die dabei eingesetzte Energie, desto besser wird
der Prozess bewertet. Was kann die Anwendung dieser Kriterien auf die
Bauwirtschaft und im speziellen auf die Architektur bedeuten? Der
deutsche Ausstellungsbeitrag will die Übersetzung versuchen.
Welcher Architekt würde sich
„Architekturvermeidung“ auf die Fahne heften beziehungsweise was
würde das 3R-Prinzip für das zeitgenössische Bauen bedeuten?
Schnell fällt auf, dass hier mehr passiert als lediglich die
architektonische Aufbereitung der Energiedebatte. Hinter den
Bemühungen steckt die Suche nach einer neuen Definition von
Architektur und einem zeitgemäßen Berufsbild des Architekten.
Nachhaltigkeit, schrumpfende Städte und graue Energie sind solche
Steine die dazu Anstoß geben. Die Interviews in diesem Band zeigen
Planer die dazu Stellung beziehen und gewissermaßen mit beiden
Beinen im 21. Jahrhundert stehen. Ihnen allen gemeinsam ist der
Versuch ihre Arbeit zeitgemäßer zu denken und ihre Projekte werden
als Anwendung des 3R-Prinzip auf Architektur interpretiert. Denn was
sie tun kann man Umbau nennen oder eben reflektierter Umgang mit dem
Gebäude- und Infrastrukturbestand. Ihr Argument: 80% des
Wohnungsbudget fließen in den Umbau und nur 1% in den Neubau, warum
da noch lange vom modernistischen „Tabula Rasa“ sprechen.
„Reduce, Reuse und Recycle“ machen
einen grundlegenden Unterschied in der Herangehensweise an eine
räumliche Problemstellung wie sie die Architektur sich stellt.
Plötzlich – so erklärt Jean-Philippe Vasal im Interview – wird
die Phase des Observierens und Analysierens der bestehenden Situation
zentral gegenüber dem üblichen Entwerfen von neuen Atmosphären.
Viel häufiger ist die Rede von Entdecken und Verwenden. Architekten
bewerten den vorgefundenen Raum und adaptieren ihn nur so weit, dass
er den verlangten Ansprüchen genügt. Viel Pragmatik steckt hinter
dieser Position, die sich vor allem auf den Bedarf der Nutzer
einstellt und nach direkten Antworten sucht, indem nur das ergänzt
werden soll, was noch fehlt. Dadurch ergibt sich ein Respekt vor dem
was bereits da ist, Respekt der bei Lacaton und Vasal zum Prinzip und
Ausgangspunkt ihrer Arbeit avanciert.
Jasper Morrison formuliert eine weitere
Position und postuliert ein evolutives Design, dass von „Dingen
lernt, die sich über die Zeit hinweg entwickelt haben und gewachsen
sind“. So will er Mittel, Material, Produktionsvorgang und selbst
die Idee weiterverwenden um ökonomisches Design zu betreiben.
„(...)Gesellschaftlicher Fortschritt, den es aber nur dann gibt,
wenn Design intelligent, ehrlich, nützlich und nachhaltig ist.“
Die dritte und letzte Position durch
Miroslav Sik verlangt nach einem Dialog mit dem Bestand. Nur ein
Miteinander von Alt und Neu führen zum Evolutiven in der
Architektur.
Hochhalten von Bestand und historischer
Bausubstanz wird oft dem in der klassischen Moderne geforderten
„Tabula Rasa“ gegenübergestellt. Jeder echte Fortschritt kann
nur auf den Trümmern der Vergangenheit gedeihen. Wie kann nun mit
diesem Pathos umgegangen werden? Institutionell verankert durch den
Denkmalschutz erlangt das strikte Konzept von wegreißen und neubauen
wohl eher nur Rückendeckung. Denn so wird nur versucht einige Bauten
vor diesem Schicksal mit Gewalt zu bewahren, aber sicher keine
Diskussion über den zeitgemäßen und richtigen Umgang mit unserer
bereits gebauten Umwelt ermöglicht. Denkmalschutz erklärt die
„Erhaltung“ zum Prinzip, die Betrachtungsweise der zitierten
Planer sieht hingegen in der Erhaltung nur eine Möglichkeit, dass
die eigentlich gesuchte Verbesserung eintritt. „Mein Problem mit
dieser Haltung ist, dass es dabei eben nicht um ein Fortentwickeln
des Bestands geht, sondern eher um eine finale Bilanzierung. Es ist
quasi eine ahistorische Haltung, denn sie suchen ja nach einem
endgültigen Zustand. Hier das Alte, dort das Neue.“ (Arch. Roger
Diener)
„Gegen eine Tabula Rasa ist nichts
einzuwenden. Nur: Es gibt sie nicht.“ (Arch. Arno Brandlhuber)
Entlarvt den Schlachtruf der Modernisten, die dadurch eigentlich nur
die Gelegenheit verpassen von bereits bestehenden Strukturen zu
lernen.
Dem genialistischen Entwerfer oder
freien Schöpfer wird der Architekt als Interpret und Entwickler
gegenübergestellt. „Langsam, unauffällig und so, dass sie
funktionieren, dass sie den Ansprüchen der heutigen Zeit genügen.“
(Miroslav Sik) Eine ikonische Architektur die den Dialog mit dem
Bestand nicht schafft und nach Aufmerksamkeit sucht, ist mit dem
RRR-Prinzip nicht zu vereinbaren. Wenn Nachhaltigkeit regiert, wird
an erster Stelle nach einem Mehrwert durch den Gebrauch verlangt,
der sich auch schon durch kleine und gezielte Eingriffe in den
Bestand einstellen kann.
Jeder Eingriff wird durch eine
Beobachtung und Analyse vorbereitet und folgt dem Prinzip der
Addition. Additiv ist er deshalb weil es sich immer nur um ein
Hinzufügen handeln kann, da immer etwas bereits da ist. Es soll sich
ein Prozess einstellen, der am Bestand anknüpft und auch über den
baulichen Eingriff hinaus Entwicklung ermöglicht, also nie zu Ende
kommt. Manche Zustände und räumliche Konfigurationen bewähren
sich, andere hingegen erweisen sich als weniger sinnvoll. Durch die
Offenheit des Systems lassen sich diese jedoch durch weitere
Eingriffe wiederum verändern, ohne das „Bewehrte“ zu zerstören.
Es sei „viel realistischer, denselben Prozess immer wieder neu zu
überdenken, ihn anzupassen und ihn für neue, verbesserte
Anwendungen zu nutzen, als Quantensprünge zu machen(...)“ so
Konstantin Grcic.
„Das Vorhandene, Ärmliche, Seltsame,
Alltägliche als architektonische Ressource – als Material und
Anstoß zur Weiterentwicklung entdecken, eröffnet neue Möglichkeiten
architektonischen Handelns.“
(Kritik von Clemens Gudenus)
Reduce
Reuse
Recycle
Ressource Architektur
Deutscher Pavillion
13. Internationale Architekturausstellung
La Biennale di Venezia 2012
Hrsg. Muck Petzet, Florian Heilmeyer